Wollen wir heiliger Rest werden?

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Joachim Valentin über die gesellschaftlichen Wirkungen von Kirche "Ich trete in die Kirche ein oder in eine aufgeklärte Glaubensgemeinschaft anderer Religionen: auch als Agnostiker. Diese Gemeinschaften halten die Gesellschaft zusammen, sie lehren die Tugenden des Umgangs: Höflichkeit, Freundlichkeit, Herzlichkeit. Sie bewahren mich vor dem Irrweg, alles besser zu wissen." So formulierte die ZEITChefredakteurin Sabine Rückert kürzlich als letzte von 10 Antworten auf die Frage "Was ich tun kann, um die Demokratie zu stärken, in der ich lebe."

Dass eine Nichtgläubige spirituelle oder gar Glaubenswahrheiten nicht "sehen" und also auch nicht würdigen kann, leuchtet unmittelbar ein. Mich hat diese Würdigung der gesellschaftlichen Wirkungen von Kirche, ihrer "sekundären" Außenwirkung, trotzdem erfreut. Gleichwohl hat ihr an prominenter Stelle geäußertes Bekenntnis wenig innerkirchliches Echo ausgelöst, ja, auf Facebook-löste der Text eher Befremden und bestenfalls heftige Debatten aus, ob "wir" denn Agnostiker in unserer Kirche wollten.

Mich macht das nachdenklich in dreierlei Hinsicht: Ist das Wirken der Kirche in der Welt im beschriebenen Sinne eines "wertigen" Zusammenhaltes, einer Tugendhaftigkeit im Umgang, wirklich sekundär, oder sollten wir nicht stolz darauf sein, dass – wie uns der italienische Philosoph Gianni Vattimo ins Stammbuch schrieb – die ursprünglich christliche "Caritas" zur weltlichen Tugend demokratischer Sozialsysteme geworden und damit in großer Tiefe in das neuzeitliche Denken und Handeln eingedrungen ist? Und dann: Wollen wir wirklich keine Agnostiker in unseren Reihen, also Menschen, die Zweifel daran haben, ob man Gott erkennen könne? Papst Franziskus schreibt in Evangelii Gaudium (47): "Alle können in irgendeiner Weise am kirchlichen Leben teilnehmen, alle können zur Gemeinschaft gehören,
und auch die Türen der Sakramente dürfen nicht aus irgend einem beliebigen Grund geschlossen werden." Und schließlich: Ist die katholische Kirche in Deutschland "die Kirche", in die Sabine Rückert eintreten wollte?

Wie müsste sich aber unser haupt- und ehrenamtliches Handeln, unser Umgang mit kirchlichen Räumen, Medien, Personal ändern, wenn wir Mission als gesamtgesellschaftlichen Auftrag der Durchdringung einer kälter und rauer werden Welt mit der unbedingten Liebe Jesu Christi verstehen würden? Welche Türen müssen wir noch
aufmachen? Die Institution und jede(r) Einzelne?

Die Entscheidung, ob wir ein heiliger Rest werden wollen oder andere einladen, Teil des "wandernden Gottesvolk" zu sein, wird jeden Tag neu getroffen. Sie ist eine Frage an jede(n) Einzelnen, aber auch an die Entscheider in der Kirche, vorneweg unsere Bischöfe.

Der Autor
Joachim Valentin ist Direktor des katholischen Kultur- und Begegnungszentrums "Haus am Dom" in Frankfurt am Main und stellvertretender Vorsitzender des Frankfurter Rates der Religionen.

Quelle: katholisch.de

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